Rassismus ist ein blinder Fleck in der Stadt Stuttgart
von Luigi Pantisano
Die Stadt Stuttgart gilt Bundesweit und International als Vorbild für eine vielfältige Stadt in der Menschen aus 170 Ländern friedlich zusammen leben. Heute haben in unserer Stadt über die Hälfte der Kinder- und Jugendlichen unter 18 Jahren mindestens ein Elternteil mit internationaler Herkunft. Doch unser friedliches Miteinander täuscht oftmals darüber hinweg, dass Schwarze Menschen, Frauen mit Kopftuch, Menschen jüdischen Glaubens, Männer mit einem dunklen Dreitagebart oder Vollbart in Stuttgart rassistisch und rechtsextremistische Gewalt erfahren. Zu diesen extremen Vorfällen kommen all die vielen unterschiedlichen Alltagssituationen in der Nachbarschaft, im Verein, in der Schule und bei der Wohnungssuche, bei denen Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihres Namens regelmäßig diskriminiert werden. Wichtig dabei ist auch zu betonen, dass Rassismus nicht nur von sogenannten „Herkunftsdeutschen“ ausgeht, sondern von jeder gesellschaftlichen Gruppe, unabhängig der Nationalität, der Parteizugehörigkeit und der Religion.
Seit dem Erscheinen des rassistischen Buchs von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ sind Rassentheorien und die Diskriminierung von Muslim_innen Salonfähig geworden. Dieses Buch hat in Deutschland Geister in unserem Land wieder erweckt, die den Weg in die Köpfe der Menschen und durch „PEGIDA“ auf die Straße gefunden haben. Seither sind Hass und Hetze im Alltag und in sozialen Medien normal und es gibt kein Tabu mehr wenn es darum geht unsere vielfältige Gesellschaft in Frage zu stellen. Mit Politikern der AfD wie Björn Höcke, Markus Frohnmaier und Wolfgang Gedeon haben diese rassistischen- und antisemitischen Parolen nun auch Eingang in unsere Parlamente gefunden. In Stuttgarter Gemeinderat erleben wir das leider auch immer wieder.
Die Verunsicherung der Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund in Stuttgart ist seither groß. Viele fragen sich wegen der aktuell aufgeheizten Stimmung in unserem Land ob sie hier noch sicher sind. Die Vertuschungsaktionen von Polizeibehörden bei der Aufklärung des NSU-Terrors und fast täglich Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte machen vielen Menschen Angst.
Wir können in Stuttgart dennoch darauf Stolz sein, dass nur ein paar wenige Stuttgarter_innen bei der einzigen PEGIDA-Demo in unserer Stadt teilgenommen haben. Worauf wir aber nicht Stolz sein können ist, dass die homophobe und sogenannte „Demo für Alle“ in Stuttgart gewütet hat. Bis zu 5.000 Menschen aus dem ganzen Land sind mehrmals und über Jahre hinweg durch Stuttgart gelaufen um gegen Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle zu hetzen. Homophobie ist eine weitere Form des Rassismus und muss immer miterwähnt werden. An diesen reaktionären Demos haben neben der AfD, einigen Vertreter_innen der CDU und vielen radikalen christlichen Vereinen, rechtsextremistische Kameradschaften, Hooligans und auch die mittlerweile vom Bundesverfassungsschutz beobachtete „Identitäre Bewegung“ teilgenommen.
In der Region Stuttgart ist die sogenannte Regionalgruppe der “Identitären Bewegung Schwaben” aktiv. So ist im Wochenmagazin “ZEIT-ONLINE” nachzulesen, dass die “IB Schwaben” eine “Vernetzung wolle mit der AfD, ihrer Jugendorganisation Junge Alternative, Burschenschaften und anderen patriotischen Gruppen”. Aus dieser Regionalgruppe geht die lokale Ortsgruppe Stuttgart hervor, die nun mittlerweile seit über einem Jahr die Stuttgarter Stadtmitte, meist die Königstraße, als Bühne für rassistische Hetze missbraucht. So wurde im Frühjahr 2017 auf der Königstraße ein Video gedreht, in dem als “Lego-Figuren” verkleidete Menschen eine Szene nachspielen, in der eine schwarze Figur auf eine am Boden liegende Figur einschlägt. Eine weitere Aktion im Februar war die Aufstellung von geschmacklosen Grabsteinen mit davor liegenden “Toten” – die angeblich von Geflüchteten getötet wurden. Diese Aktionen werden auf Facebook & Co. mittlerweile von mehreren zehntausend Menschen gesehen und auch geteilt.
Die “Identitäre Bewegung Schwaben” führt zudem nicht nur öffentlichkeitswirksame Aktionen durch, sondern trifft sich halbjährlich zu sogenannten “Aktionswochenenden”, die eigentlich “Übungscamps” zur Vorbereitung von Straßenkämpfen sind, die das Ziel haben, Gewalt gegen Migrant_innen, Geflüchtete, Muslime und demokratisch gewählte Politiker_innen auszuüben, um Deutschland “wieder zurückzuerobern. Das ganze steht unter dem Motto des historischen Begriffs “Reconquista” und nimmt damit Bezug auf die Entstehung und die Ausdehnung der christlichen Reiche und die gleichzeitige Zurückdrängung des muslimischen Machtbereichs im Mittelalter.
Die Identitäre Bewegung und die sogenannte Alternative für Deutschland wollen das Rad der Geschichte um 70 Jahre zurückdrehen. Das dürfen wir als Demokrat_innen nicht zulassen.
In diese Entwicklung reiht sich auch der Vorfall vom 12. Juni 2016 ein, als ein 19-jähriger Deutscher aus einem fahrenden Auto in der Stuttgarter Innenstadt auf einen anderen Deutschen – auf einen Schwarzen Deutschen – mit einer Gaspistole geschossen hat. Wir müssen uns bewusst sein, dass auf Worte immer Taten folgen können, auch in unserer Stadt.
Der Staatsschutz hat im Gemeinderat berichtet, dass es im Jahr 2015 einen Anstieg rechtsextremistischer Straftaten um 92 Prozent im Vergleich zu Vorjahr gab. Diese Zahlen verdeutlichen, dass wir Handlungsbedarf haben, auch wenn der Staatsschutz behauptet, in Stuttgart seien keine organisierten rechtsextremistischen Gruppen aktiv.
Der Umgang unserer Behörden mit den Opfern rechter Gewalt ist dabei besonders wichtig. Amnesty International hat in einem Bericht im Juni 2016 festgestellt, dass bei der Strafverfolgung von rassistischen Straftaten aufgrund „Vorurteilen und institutionellen Rassismus“ große Versäumnisse in deutschen Behörden bestehen.
Wie kann unsere Stadt also ein gutes Vorbild für Kinder- und Jugendliche und auch für die Geflüchteten in Deutschland sein, wenn wir es nicht schaffen sie vor rassistischer und rechtsextremistischer Gewalt und Hetze zu schützen? Die Demokratie ist das Fundament unserer Gesellschaft. Unsere Kinder- und Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund bauen ihre Zukunft auf unserem Grundgesetz auf. Bei der Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus haben wir in Stuttgart einen blinden Fleck, wenn wir uns weigern der gelebten Realität vieler Stuttgarter_innen ins Auge zu schauen und „wir“ uns stattdessen mantra-artig erzählen, dass Stuttgart eine doch so internationale und vielfältige Stadt ist. Wir stehen als SÖS-Aktive an der Seite von Antifaschist_innen und Antirassist_innen im Kampf gegen rechtsextremistische und rassistische Parteien und Organisationen wie die AfD, NPD und der Identitären Bewegung und wir wehren uns gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit in Parlamenten und auf der Straße.
Luigi Pantisano ist SÖS-Stadtrat im Stuttgarter Gemeinderat. Er engagiert sich seit vielen Jahren in antirassistischen Initiativen. Er ist Initiator der Jungendkulturwoche für Vielfalt und gegen Rassismus – Bunt statt Braun im Rems-Murr-Kreis und Mitinitiator und im Organisationsteam der Stuttgarter Aktionswoche HEIMAT im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus.