Interview mit der SÖS-Zeitung “Stadtgazzette”:
Stadt für Menschen
Die bist Architekt und Stadtplaner, hast in Stuttgart und Tokio studiert, warst Quartiersmanager in Konstanz und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Städtebau-Institut der Uni Stuttgart. Eine Deiner ersten öffentlichen Intitiativen als Stadtrat war, den Protest gegen den Abbau von Sitzbänken in der Königstraße zu organisieren. Wie kam es dazu?
Eine Stadt muss Plätze für den Austausch zwischen Bürger_innen schaffen. Diese Plätze müssen so gestaltet sein, dass vielfältigste Menschen in einer Stadt wie Stuttgart zueinander kommen, die zum Aufhalten und zur Kommunikation einladen. Gleichzeitig darf der Aufenthalt im öffentlichen Raum nicht an den Geldbeutel oder Konsum gekoppelt sein. Um solche Orte zu erleben, reisen wir nach Amsterdam, Paris oder in italienische Kleinstädte und sind begeistert. Städte mit einem menschlichen Maßstab wirken auf die Bewohner_innen zurück und fördern ein solidarisches Miteinander. Städte werden heute so gestaltet, dass ein soziales Engagement erst gar nicht aufkommt, sondern der “Dschungelaspekt der Konkurrenzgesellschaft” dominiert, wie schon Mitscherlich in seinem Buch “Die Unwirtlichkeit der Städte” beschrieben hat.
Leider erleben wir diese Entwicklung nun schon seit vielen Jahren auch in Stuttgart. Die Stadtbewohner_innen vereinsamen zusehends. Man hält Distanz zu den Nachbarn. Und besonders zu den Menschen, die nicht in die angebliche „Norm“ der Mehrheit passen. Menschen die kein bestimmtes Shoppingziel haben und etwas länger auf Bänken sitzen, die Stadt nur genießen wollen, oder Obdachlose, die auf den Bänken liegen und schlafen, sind an Orten wie der Königstraße nicht erwünscht. Dass unter einem grünen Sozialbürgermeister ein solch asozialer Beschluss gefasst wird, hat mich wütend gemacht.
Ja, aber vielen ist es doch unangenehm, so argumentierten die Stadträt_innen aller anderen Fraktionen im Gemeinderat bei Ihrer Zustimmung zum Abbau der Sitzbänke, wenn bedürftige Menschen, Obdachlose oder Sinti und Roma die Bänke blockieren?
Die Wirklichkeit ist unangenehm und in einer reichen Stadt wie Stuttgart leben viele Menschen in Armut. Diese Armut lässt sich aber nicht heilen, in dem bedürftige Menschen von öffentlichen Plätzen vertrieben werden. Denn Armut kann nicht vertrieben werden. „Aus den Augen, aus dem Sinn“ ist leider die neoliberale Ideologie die hinter dem Beschluss zum Abbau von Sitzbänken steckt, deshalb ist es ein Politikum, und deshalb haben sich mit dem Protest dagegen viele Menschen und Organisationen in Stuttgart solidarisiert. Menschen die kein Dach über dem Kopf haben oder in Armut leben, müssen wir am besten mit dem Bau von bezahlbaren Wohnungen und mit staatlichen Hilfsangeboten unterstützen, wie zum Beispiel durch den Einsatz von Sozialarbeiter_innen. Es gibt zudem Menschen, die sich bewusst für ein Leben im Freien entschieden haben. Auch das müssen wir als Gesellschaft akzeptieren. Daher haben wir im Gemeinderat beantragt, die Bänke auf der Königstraße zu erhalten. und stattdessen für die Schaffung einer Sozialarbeiter_innen-Stelle einzusetzen. Zusätzlich haben wir gefordert, die vorgesehenen Abbaukosten von 45.000€ für die Schaffung einer Sozialarbeiter_innen-Stelle einzusetzen, um die Menschen vor Ort zu unterstützen. Ordnungsbürgermeister Schairer (CDU), Sozialbürgermeister Wölfle (Grüne) und alle anderen Fraktionen haben unseren Antrag abgelehnt.
Und wie geht es weiter?
Nun, der Sitzbankabbau war im Kleinen ein Brennglas, für wen CDU, GRÜNE, SPD, FDP und AfD Politik machen: für große Konzerne auf der Königstrasse, für Immobilienhaie und leider nicht für die Menschen. Wir haben in den vergangenen Haushaltsberatungen die Schaffung einer „Menschenfreundlichen Sitz- und Liegebank“ beantragt, die an mehreren Orten der Stadt aufgebaut werden sollte. Bisher haben wir für diese Idee keine Mehrheit, aber wir werden ganz sicher im Gemeinderat und außerparlamentarisch mit Bürger_innen gemeinsam weiter an diesem Thema dran bleiben.
Mit dem Gemeinderatsbeschluss zum Projekt „Stuttgart Laufd nai“, eine Idee die ich gemeinsam mit meinem Stadtratskollegen Christoph Ozasek (DIE LINKE) und vielen Bürgerinitiativen wie dem BUND, ADFC, Naturfreunden, Fuss e.V. und vielen anderen entwickelt habe, steht die Gesamtplanung einer Fußgänger_innen- und Radfahrer_innenfreundlichen Innenstadt an. Eine Innenstadt die großteils Befreit ist von Autoverkehr und kein Privileg ist für Milaneo, Gerber und anderen Kommerztempeln sondern für Menschen. Eine lebenswerte Stadt für Menschen mit öffentlichen Plätzen, die Orte der Begegnung schaffen für alle Generationen, mit Spielflächen für Kinder- und Jugendliche, mit mehr Wohnungen in der Innenstadt, weniger Auto- und Lieferverkehr und sicheren Fuß- und Radwegen. Ausführliche Infos finden sich unter folgender Webadresse: www.stuttgart-laufd-nai.de